Das Auge

Der Schrank steht da. Breit und vollgestopft mit Akten, Papieren, Wolle, Wolldecken und anderem Krimskrams. Ein Schrank voll Stauraum, der das ganze lose Zeug beinhaltet, das ausgebreitet einen unförmigen Haufen bilden würde, über den jeder darüber stolpern würde.

Eine Jahreszahl ist auf dem Schrank aufgemalt: 1786. Er hat mit seinen 228 Jahren schon viel gesehen. Das meine ich buchstäblich, denn er besitzt ein Auge.

Das fällt niemandem so schnell auf, denn erstens rechnet niemand damit, dass ein Schrank ein Auge hat, und zweitens befindet es sich an einem unmöglichen Platz, nämlich am Fußteil, unten links. Das scheint auch das Auge zu wissen, denn es schielt verzweifelt nach oben, so als würde es angestrengt überlegen, wie es hinauf kommen könnte, in die Kopfleiste des Schranks, dort wo die Jahreszahl steht, dort wo ein Auge eigentlich hingehört, dort wo es Ausblick und Übersicht hätte, wo es in Augenhöhe mit menschlichen Augen wäre, wo es die Blicke erwidern oder deuten könnte, dort wo es auch selbst gesehen werden könnte.

Stattdessen befindet es sich in der Höhe von Füßen und Haustieren, die es natürlich nicht bemerken. Die auch nicht wissen, dass Augen die Fenster zur Seele sind, in diesem Fall wohl ein Kellerfenster.