Der Kapitän

Das schwere Schleusentor schließt sich dumpf dröhnend hinter dem großen, rostigen Schiff. Das Wasser zischt und brodelt. Frierende Matrosen stehen an der Reling und starren auf kahle Betonwände, die schlingernd in den Himmel wachsen. Sie rauchen filterlose Zigaretten bis sie sich an den Stumpen fast die Finger verbrennen.

Der Wind pfeift durch die Ritzen der schmutzigen Fenster und verfängt sich im schlohweißen Bart des Kapitäns. Er ist schon in die Jahre gekommen, genau wie sein Schiff. Breitbeinig steht er auf der Brücke und ist rastlos wie ein gefangener Tiger. Das Gesicht ist von tiefen Furchen durchzogen. Mit grimmig entschlossenem Blick aus eisgrauen Augen tastet er entlang der fleckigen Betonwände. Er sieht nach oben in das Viereck des wolkenverhangenen Himmels, das immer kleiner wird. Möwen ohne Gesicht lösen sich aus dem Grau.

Die Fahrt auf dem Fluss war langwierig und mühsam, das Ziel unbestimmt. Trotzdem führt kein Weg daran vorbei. Es ist die letzte Schleuse, die er gerade passiert.

Die Matrosen holen die Taue ein. Sie tummeln sich, denn das Schleusentor geht bald auf. Das Wasser ist nachtschwarz und kräuselt sich leicht. Ungewöhnliche Geräusche dringen aus dem Inneren des Schiffes. Es hört sich an wie tiefe, gequälte Seufzer, die raunend und vibrierend den ganzen Rumpf durchziehen. Es ist das Schiff selbst, das alt und unwillig geworden ist und um sein Schicksal weiß. Die Bewegungen des Kapitäns sind geschmeidig, sein schwimmendes Gefährt folgt ihm schwerfällig. Der Kahn macht ein Manöver und dreht sich weg von den Betonwänden auf denen noch einige Matrosen, klein wie Insekten, stehen und verdutzt die Taue in den Händen halten. Manche glauben, er sei verrückt geworden. Einer springt ins eiskalte Wasser und versucht schwimmend das zubetonierte Ufer zu erreichen. Hände strecken sich ihm entgegen und ziehen ihn heraus.

Den Kapitän interessieren seine Männer nicht. Und ebenso wenig ihre Geschichten: ihre Familien, ihre Kinder, ihre Geldsorgen und anderes Geplänkel. Er kennt sie alle und merkt sich weder ein Gesicht noch einen Namen. Wenn einer untergeht oder zurückbleibt, stört ihn das nicht. Mit Verlusten hat er zu leben gelernt. Das ist die Aufregung nicht wert. Er schickt den ersten Ingenieur von der Brücke. Der Mann verstummt. Der Befehl ist klar und unmissverständlich. Erst zögert er noch, dann fügt er sich und geht.

Der alte Kapitän mit weißem Haar und schwarzem Mantel wendet sich endlich dem wirklich Wichtigen zu. Er hat alt werden müssen und er hat das meiste zurücklassen müssen, um so weit zu kommen. Ob es sich auszahlen wird, ist unwahrscheinlich, bestenfalls offen.

Es ist Nacht geworden, als er die Küste erreicht. Das weite, offene Meer erwartet ihn und zeigt ihm durch gewaltige, finstere Wellen seine ganze Kraft. Die Kämme kräuseln sich giftig zischend und drohen ihm. Entschlossen und ohne Zögern steuert er das große, morsche Schiff darauf zu, und lässt das sichere Hafenbecken hinter sich.

Der Sturm umfängt ihn mit voller Wucht. Der Wind heult wütend über der kochenden See. Wellenberge türmen sich zu schwarzen und undurchdringlichen Mauern. Weiße Schaumkronen lechzen, Gischt verspritzend, von oben herab. Das Ächzen und Stampfen des Schiffes geht im ohrenbetäubenden Lärm des Orkans unter. Der Regen peitscht auf den rostigen Kahn ein und die ersten Brecher stürzen mit wahnsinniger Wut über ihn herein. Blankes Entsetzen erfasst die Mannschaft. Der alte Kapitän aber steht stoisch auf der Brücke und hält an seinem Kurs fest.