Frau Berchthold

Das Rad dreht sich immer noch. Es ragt hoch in die Luft und dreht sich ohne Widerstand, ohne Reibung. Es dreht ganz gelassen und gibt dabei schnarrende Geräusche von sich.

Ich war zu schnell unterwegs. Verdammt. Viel zu schnell. Weil ich es wiedermal eilig hatte, weil ich wiedermal zu spät war. Ich bin immer zu spät und dann renne und eile und haste ich wie ein Irrer und schaffe es doch nicht. Jetzt liege ich da, über mir ein rauchender, tickender und tropfender Schrotthaufen. Durch die verstärkte Fahrerkabine bin ich zwar noch am Leben, aber ich kann mich kaum bewegen. Ich bin eingeklemmt. Irgendein Metallteil quetscht mir mit dem ganzen Gewicht des Autos das Bein ab. Es riecht verbrannt und nach Benzin. Außerdem kann ich Blut riechen. Mein Blut, das gerade aus meinem zerschlissenen Körper herausströmt. Das Atmen fällt mir schwer und ich fürchte immer wieder, ersticken zu müssen. Aber am schlimmsten sind die Schmerzen. Sie sind eigentlich unerträglich und trotzdem kann ich ihnen nicht entkommen und muss sie aushalten. Ich schreie und brülle bis ich nicht mehr kann und husten muss, weil sich große Mengen von Blut in meinem Mund sammeln. Vermutlich durchbohrt eine oder mehrere meiner geborstenen Rippen gerade meine Lunge. Ich bin ganz still, nur mein keuchender, rasselnder Atem ist zu hören und das Rauschen des Wassers. Ich liege mitten in einem Bachbett, nachdem ich aus einer Linkskurve geflogen bin.

Das verdammte Rad hört nicht auf zu drehen. Es macht mich wahnsinnig. Es reicht. Ich habe Schmerzen, dass ich die Wände hinaufgehen könnte. Wenn ich jemals wieder gehen können werde. Aber das ist mir scheißegal. Lieber gar keine Beine, gar nichts mehr haben, als diese verdammten Schmerzen. Glaubt nicht, was sie euch über Unfälle erzählen. Dass man einen Schock habe und in diesem Zustand keinen Schmerz mehr fühlt. Das ist absoluter Blödsinn. Genauso blödsinnig ist das Gerede von wegen, dass einem das Leben – oder Gott oder was auch immer – nur so viel zumutet, wie man ertragen kann. Das ist komplett gelogen. Denn irgendwann kommt’s und dann merkst du, dass dich die Situation völlig überrennt. Dass du keine Chance hast, irgendwas zu ertragen, dass es gar nichts mehr zu tragen gibt, dass du zusammenklappst und nur noch platt am Boden liegst. Genau so, als würde eine Dampfwalze auf dir liegen oder wie in meinem Fall ein Auto. Ein verdammter, acht Jahre alter Mittelklassewagen mit ungefähr einer Tonne Gewicht.

Ich schreie nach Leibeskräften, bis mir wieder die Luft ausgeht. Warum, in Gottes Namen hört mich niemand? Warum? Das kann doch nicht sein, dass ich hier so liegen bleiben muss. Und warum dreht sich dieses verdammte Rad immer noch? Das eiskalte Wasser des Baches macht mich langsam taub. Ich kann meine Hände und meine Schulter und meine Hüfte nicht mehr fühlen. Und es wird langsam dunkel. Das sich immer noch drehende Rad ragt schwarz in den kobalt-farbenen Himmel. Ab und zu streift ein gezackter Scheinwerferkegel das Bachbrett mit mir und dem Autowrack. Dann steigt Hoffnung in mir auf. Freudige Erregung. Und ich hoffe inbrünstig. Aber irgendwann sackt die Hoffnung in sich zusammen und fällt ins Bodenlose. Nämlich dann, wenn das Summen des Motors in der Ferne verklingt und im Murmeln des Bachs untergeht und nur noch mein ersticktes Wimmern und Weinen bleibt. Ich glaube Stimmen zu hören und hoffe erneut. Es sind seltsame Stimmen. Dann merke ich, es sind gar keine Stimmen - nur das Wasser. Verdammt, es kann doch nicht sein, dass mich niemand findet. Wie viele Autos sind vorbei gefahren, oben an der Straße? Hat keiner dieser Vollidioten meine Spuren bemerkt, die geknickten Bäume, das zerdrückte Gras und einen Blick hier herunter riskiert?

Ich kann nicht mehr. Ich kann einfach nicht mehr. Ich kann nicht mehr schreien. Und ich kann nicht mehr heulen, nicht mehr weinen. Ich kann das einfach nicht mehr aushalten. Was willst du nur? Was willst du verdammter Schmerz mir noch sagen? Ich weiß doch, dass ich kaputt bin. Du hast deinen Zweck erfüllt! Du bist jetzt so unnütz wie ein Rauchmelder, wenn das ganze Haus in Flammen steht. Kannst du nicht endlich Ruhe geben?

Ich schaffe es nicht. Ich ertrage es nicht länger. Manche Menschen gehen qualvoller drauf, als jedes Stück Vieh. Die bekommen wenigstens den Gnadenschuss oder man schlägt ihnen den Schädel ein. Dann ist fertig. Der Tod ist ein Erlöser, kein Retter und kein Heiler, das ist mir klar. Er macht nichts mehr ganz oder heil. Er zerstört, zerstampft, zermalmt, macht einfach alles, egal ob gut oder schlecht, einfach alles dem Erdboden gleich. Wie kann man sich so etwas nur wünschen?

Verdammt, ich will noch nicht… Bitte lieber Tod – noch nicht jetzt! Ich will noch leben. Ich will meinen Sohn wiedersehen. Er ist jetzt fünfzehn. Er braucht mich doch, gerade jetzt, in dieser Phase des Erwachsenwerdens, wenn alles so kompliziert wird. Klar haben wir unsere Meinungsverschiedenheiten, aber das ist doch normal. Ich will wissen, wie es mit ihm weitergeht, was er noch alles vorhat und macht. Ich will ihm helfen und ihm noch etwas geben können. Wie lange wird es dauern, bis ich in seiner Erinnerung verblasse und er sich nicht mehr mein Gesicht vorstellen kann? Verdammt, das kann’s doch noch nicht gewesen sein! Herrgottnochmal! Das ist nicht fair. Verdammt, das ist nicht faaaaaaaaaiiiiiiiiiiiiiir!

Die ersten Sterne sind zu sehen. Ich muss weggedöste sein. Komisch, dass man in so einer Situation einschlafen kann. Das blöde Rad hat endlich aufgehört, sich zu drehen. Was für eine Wohltat! Endlich steht alles still! Immer mehr Sterne sind zu sehen. Mein Gott, ist das schön! Als Kind habe ich es geliebt, die Sterne anzusehen. Mit meinem Cousin bin ich in der Nacht auf einer steilen Bergwiese gesessen. Wir haben die Zigaretten geraucht, die er seinem Vater geklaut hatte. Oben leuchteten die Sterne und unten im Tal die Lichter der Stadt. Herrgott war das schön!
Oder der sanfte Regen im Sommer. Ich sehe meine Großmutter zum Fenster ihres jahrhundertealten Hauses herausschauen. Es riecht nach Gras und Wald und altem Holz.

Ich nehme den Geruch von frischem Brot wahr. Das ist merkwürdig und unmöglich. Woher sollte der Geruch kommen? Trotzdem, es riecht ganz eindeutig nach frischem Brot. Ganz unverkennbar. Das erinnert mich an Paris. Die Stadt der Liebe, der Kunst und Kultur. So habe ich mir Paris vorgestellt, als ich aufbrach – wie unzählige andere auch. Aber kein Versprechen hat diese Stadt gehalten. Ich glaube, ich war noch keine drei Tage in Paris, als ich die Stadt schon abgrundtief hasste. Paris hat keine schönen, romantischen Ecken. Alle diese Bilder lügen. Nein, ich muss mich korrigieren: sie verschweigen das Wesentliche. Sie verschweigen, dass Montmartre, der Eiffelturm, Notre-Dame und alles andere völlig zugedeckt ist. Zugedeckt und begraben unter einem Ameisenhaufen aus Touristen. Und der Rest von Paris ist schlechte Luft, Lärm, Abgase, Baustellen, Bettler, Drogen, Kriminalität, Rassismus, Ungerechtigkeit und Prostitution. Vergesst die Bilder von Straßencafés und Bistrots. Es gibt nichts Ungemütlicheres. Die Stadt ist voller Tristesse. Sie lebt von einer Legende, die sie verklärt. Meine Träume zerplatzten, kaum dass ich angekommen war. Am Fenster meiner winzigen Ein-Zimmer-Wohnung in einem fünfhundert Wohnungen umfassenden Bau irgendwo am Stadtrand. In einem Wohnsilo, wo Menschen wie Hühner gehalten werden. Meine Träume zerplatzten so schnell wie die aller Immigranten. Sie versickerten im Boden und quollen hie und da aus den Rinnsteinen. Sie verstreuten sich unter den Ratten, den streunenden Hunden und Katzen. Die Stadt ist randvoll von Schwalben ohne Lieder, randvoll mit gescheiterten Existenzen, randvoll Enttäuschung, randvoll Trauer, Tod und Schmerz. Sie ist das größte Blendwerk auf Erden. Die Meisterin des schönen Scheins, der leeren Versprechungen, umlagert von endlosen Vorstädten mit verfehlter Architektur.

Aber ich entdeckte in ihr auch einen Schatz, einen Lichtschein, verborgen wie ein süßes Geheimnis. Und der hat mit Brot zu tun. Brot. Grundnahrungsmittel. In jedem Land gibt es Brot und jedes Land ließe sich durch sein Brot identifizieren – unmittelbar, unverwechselbar. In Österreich sind es die Semmel, sonnengelb und herrlich luftig, die früher nur am Sonntag auf den Tisch kamen, während am Wochentag Schwarzbrot gegessen wurde. Heute meistens Vollkornbrot. Vollkornbrot, wie man es in den USA oder in Südamerika nirgends finden würde. Oder man nimmt den Orient, z.B. Armenien mit seinen leckeren Fladenbroten, die in speziellen, kuppelförmigen Lehmöfen an die Wände geklatscht und dann knusprig gebacken werden. Oder England mit dem geschmacklosesten Weißbrot der Welt. Und dann natürlich Frankreich. Die duftenden Baguettes und feinen Croissants. Croissants, kleine Monde, manchmal sogar mit Schokoladefüllung. Ich liebte sie und wenn ich mich nicht jeden Morgen so auf das französische Gebäck und den Duft der warmen Bäckerei gefreut hätte, hätte ich wohl die ganzen sieben Monate, die ich in Paris blieb, unter der Bettdecke verbracht. Die Bäckerei hatte den irrwitzigen Namen „Androide“. Keine Ahnung was sich der Besitzer dabei gedacht hatte. Er passte so wenig zu diesem wunderbaren Geschäft, zu diesem herrlichen Laden, wie das ganze restliche Umfeld. Die Bäckerei lag Mitten in der Pariser Banlieue. Überall lungerten dunkle Gestalten, Gestrandete, überall wurde mit Koks und Crystal gedealt, überall trug jeder irgendwo ein Messer versteckt und jeder zweite eine Knarre im Hosenbund. Die Bäckerei war wie eine goldene Sonnenblume, die aus einem Asphaltriss heraus und hoch in den blauen Himmel hineinwuchs.

Hinter der Theke stand Leyla, ein Mädchen aus Somalia. Ein Mädchen, dessen Träume noch nicht geplatzt waren, die dickwandiger waren als meine oder die eines anderen, die mehr aushielten.
„Alles ist besser, als dort wo ich herkomme“, sagte sie zu mir, „Alles.“
Auf der Flucht und der Überfahrt kenterte der morsche Kahn, wie so viele dieser überfüllten Flüchtlingsboote. Normalerweise schaffen es dann nur die Männer und von denen nur die ausdauerndsten und stärksten. Frauen und Kinder haben nicht die geringste Chance. Und trotzdem überlebte sie.
„Ich bin dem Leben etwas schuldig“, erklärte sie mir.

Ihre Haut war schokoladenfarbig. Meine sei wie der Mond, meinte sie. Die durchscheinenden Adern erinnerten sie an sein zerfurchtes Antlitz. Ich liebte es, mit ihr zu schlafen. Ich liebte die Form und die Farben ihres Schoßes. Er erinnerte mich an eine große, leuchtende Blume und ich liebte es darin einzutauchen, zu versinken und den Nektar zu kosten.

Ich liebte es, ihr zuzusehen wie ihre dunklen Hände den Teig kneteten. Wie sie die hellen, fast weißen Laibe formte, schöne runde Laibe, ohne Ecken und Kanten. Ich konnte Kastenbrot noch nie leiden. Brot, das in eine Form gepresst wurde, eingezwängt, ohne die Möglichkeit sich auszubreiten wie es möchte, sich gehen zu lassen, sich zu entfalten. Wen wundert es, dass dieses Brot als erstes an den Kanten und Ecken völlig hart und ungenießbar wird. So hart, dass man sich die Zähne ausbeißen kann. Leyla’s Brot war ganz anders. Die Seele ihres Brotes bestand aus Sonne und Erde und Freiheit. Es war Brot, das aus der Dunkelheit kommt und genau dann aus dem heißen Ofen geboren wird, wenn der Morgen anbricht. Brot, das seinen unverwechselbaren, heiligen Duft breitwillig verströmt.

Eigentlich müssten sie mich schon langsam vermissen und sich überlegen, wo ich stecken könnte. Eigentlich müssten sie herum telefonieren und eigentlich müssten sie mich schon suchen gegangen sein. Eigentlich …

Wenn ich an die Früchte meines Lebens denke, weiß ich nicht genau, was ich davon halten soll. Irgendwie wollte ich süße Kirschen ernten, aber es sind doch eher Mostbirnen geworden. Mostbirnen sind an und für sich nicht schlecht, wenn man damit rechnet. Wenn nicht, dann ist es ein wenig blöd.

Ich wäre wirklich gerne erfolgreicher gewesen. Oft habe ich mit mir gehadert, ich hätte nicht mein ganzes Potential ausgeschöpft und ich hätte einfach mehr zu Stande bringen müssen. Ich habe Chancen nicht gesehen, sie verpasst oder war einfach zu feige gewesen, sie zu ergreifen. Ich war zu bequem und habe mich dauernd ablenken lassen. Habe mich gehen lassen und bin auf der faulen Haut gelegen, statt an dem zu arbeiten, was mir wirklich wichtig gewesen wäre. Das habe ich mir alles vorzuwerfen. Das sehe ich jetzt ganz nüchtern und klar. Am schlimmsten ist, dass ich glaubte, ich hätte noch so viel Zeit. Jetzt merke ich, dass ich gar keine Zeit mehr habe. Vielleicht noch ein paar Stunden, vielleicht auch weniger. Kommt auch darauf an, ob man mich finden wird. Die Nacht werde ich ganz bestimmt nicht überstehen können.

Andererseits habe ich immer gelernt und habe mich weitergebildet, habe Kurse besucht und Sprachen gelernt, Ausbildungen gemacht, viel gelesen. Ich wollte immer ein Experte sein, einer der es weiß und der es echt drauf hat. Aber all das Wissen, das ich mir mühevoll aneignete, zerrann mir wie feiner Sand durch die Finger. Soviel wie ich lernte, so viel vergaß ich am Ende wieder. Es war eine Sisyphos-Arbeit. Trotzdem hatte ich Spaß dabei – nur leider keinen Erfolg.

Habe ich meine Zeit verschwendet? Hätte ich besser andere Dinge machen sollen? Ich glaube nicht. Gegen meine Unzulänglichkeiten hatte ich nie eine Chance. Ich kann mich weder größer, noch schöner, noch charismatischer, noch intelligenter machen – so sehr ich mich auch bemühe. Und ich muss am Ende einsehen, dass ich eben keine Berühmtheit bin, sondern ein völlig durchschnittlicher, mittelmäßig begabter Mensch, der sich mit ganz durchschnittlichen Begabungen durch einen völlig durchschnittlichen Job schlägt. Und so wie mir geht es wohl der Mehrzahl meiner Mitmenschen. Hinter jedem Erfolg steht eine Armee von erfolglosen, gescheiterten und enttäuschten Existenzen. Es gibt halt nicht nur Bäume mit köstlichen, goldenen Äpfeln. Es gibt auch eine Vielzahl anderer Sorten: Elstar, Braeburn, Jonagold, Granny Smith und dann eben auch Mostäpfel. Most ist eine himmlische Sache, ein köstliches Getränk. Eigentlich hätte man allen Grund, sich über einen Mostapfelbaum zu freuen.

Es beginnt zu schneien. Seltsam ist das – ich frage mich, woher der Schnee kommt. Der Himmel ist klar und Millionen von Sternen funkeln über mir. Und trotzdem schneit es. Dicke weiße Flocken. Ich spüre meinen Körper kaum noch. Eigentlich bin ich froh, aber ich weiß, dass das kein gutes Zeichen ist. Deshalb versuche ich, mich zu bewegen. Der Schmerz schießt wie ein Blitz durch mich hindurch. Ich bin also noch da. Schon gut. Ich unterlasse es, meine Position zu verändern. Es ist fast lächerlich, wie folgsam ich bin. Kein Pferd ist so folgsam wie ich. Normalerweise braucht es keinen Schmerz, um mich zu leiten und schon gar nicht einen solch starken Schmerz. Normalerweise reagiere ich gleich auf das erste Ziehen, manchmal schon auf die Ahnung eines Ziehens. Ich esse lieber bevor ich Hunger habe, ich ruhe mich aus, bevor ich wirklich müde bin, ich setze mich, bevor mir die Beine weh tun könnten, ich drehe die Heizung an, sobald ich ein kleines Frösteln fühle und fahre lieber mit dem Auto als mit dem Fahrrad.

Ich bin so müde. Die Augen fallen mir zu und ich merke, wie mir immer wieder das Bewusstsein schwindet. Traumbilder steigen vor mir auf. Grüne Wiesen mit Flüssen, die sich hindurchschlängeln, und schwarze Wälder und ein dunkler See. Menschen mit Brillen und weißen Mänteln beugen sich über mich. Es ist ernst, sagen sie. Sie telefonieren hektisch auf roten Telefonen, die an roten Leitungen hängen. Zwischendurch stecken sie die Köpfe zusammen und dann flüstern sie miteinander. Seltsamerweise schneit es immer noch. Der Schnee bedeckt Wiesen, Dächer, Kamine und setzt den Tannen Hauben auf. Es schneit sogar auf die roten Telefonleitungen. Die Menschen in den Mänteln und Brillen geben sich alle Mühe, dass die Telefonleitungen offen bleiben, aber wenn es weiter so schneien würde, könnten sie nicht garantieren.

Ich drohe im Schnee zu versinken und versuche krampfhaft meinen Kopf oben zu halten, weil ich nicht weiß, was passiert, wenn ich ganz versinke. Da taucht eine riesige weißhaarige Frau auf und hilft mir. Ihr Gesicht ist freundlich, aber die großen Zähne finde ich unangenehm. Sie versichert mir, dass alles gut wäre, ich würde schon sehen. Mit einer großen Schere schneidet sie die roten Leitungen durch. Sie meint, dass wir sie nicht mehr brauchen, dass sie jetzt nur noch hinderlich wären. Die Menschen hören auf zu telefonieren und gehen weg. Der Schnee fällt jetzt so dicht, dass ich kaum mehr etwas sehen kann. Alles ist weiß. Es gibt keine Kontouren mehr, keine Schatten. Nichts mehr, nur noch das Weiß. Ich höre von irgendwo eine Melodie, ein altes Kinderlied:

„Ringa, ringa Reihe.
Sind wir Kinder dreie.
Sitzen unterm Holderbusch.
Machen alle husch, husch, husch.“

Ich möchte mitsingen, aber mir fällt der Text nicht mehr ein. Und ich möchte die alte Frau mit den schrecklichen Zähnen fragen, wie sie heißt, aber ich habe keine Stimme mehr. Selbst diese scheint sich im Weiß aufzulösen. Sie lächelt mich durch das dichte Schneetreiben an. Und dann erkenne ich sie plötzlich wieder. Sie ist Frau Berchthold.